In den ersten 15 Monaten ihrer Regierungsarbeit hat die Große Koalition aus SPD und Union laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung bereits mehr als 60 Prozent ihrer insgesamt 296 Koalitionsversprechen umgesetzt oder angepackt. Das weist auf eine rekordverdächtige Halbzeitbilanz der amtierenden Bundesregierung hin. Die Vorgängerregierung hatte zur Halbzeit lediglich knapp die Hälfte ihrer Versprechen umgesetzt. Rund ein Viertel aller Versprechen des Koalitionsvertrages finde sich nur im Wahlprogramm der SPD, so die Studie. Elf Prozent gingen allein auf das Wahlprogramm von CDU/CSU zurück. 46 Vorhaben fänden sich in beiden Programmen wieder.
Trotz dieser erfreulichen Erfüllungsquote zeigt sich im Meinungsbild der Wähler ein deutlich anderes Bild: Laut der Studie schätzt nur noch jeder Zehnte die Umsetzung richtig ein und glaubt, dass Parteien und Regierungen ihre Versprechen auch einlösen. Immer mehr Menschen unterschätzen die tatsächlichen Leistungen von Parteien und Regierungen. Diesen Fehleinschätzungen durch konkretes Regierungshandeln mit guten Erfüllungsquoten entgegenzuwirken, ist eine Sisyphusarbeit der Regierenden.
Die Schwierigkeit die Wählerinnen und Wähler davon zu überzeugen zeigen vor allem die Werte der SPD: Zwar waren deutlich mehr Koalitionsversprechen bereits im Wahlprogramm der SPD im Vergleich zum Koalitionspartner CDU/CSU verankert und wurden schließlich auch umgesetzt, deren Wähler sind aber dennoch sogar etwas weniger von der Umsetzungstreue „ihrer“ Koalition überzeugt als die Wähler der Union.
Dazu heißt es weiter in der Studie: „Immerhin finden sich 119 der insgesamt 296 (40 Prozent) Einzelversprechen des Koalitionsvertrages in dem Wahlprogramm der SPD wieder. Wiederum mehr als 60 Prozent davon (73 Versprechen) finden sich sogar ausschließlich im SPD- Wahlprogramm wieder, während weitere 46 (16 Prozent) gleichzeitig auch im Wahlprogramm der Union auftauchen. Im Gegensatz dazu lassen sich nur 78 aller Koalitionsversprechen (26 Prozent) auf das Wahlprogramm der Unionsparteien zurückführen. Nur 32 davon (11 Prozent) stammen exklusiv aus dem Wahlprogramm der CDU/CSU, während die Mehrheit der Unionsversprechen (46 Einzelversprechen oder 16 Prozent) sich gleichzeitig auch im Wahlprogramm der SPD befinden.
Daher zeigen die Zahlen im Gesamtbild, dass sich mehr Koalitionsversprechen auf das Wahlprogramm der SPD zurückführen lassen – und das ist ein Indiz dafür, dass die SPD bei den Koalitionsverhandlungen eigene Programmpunkte aus dem Wahlprogramm etwas erfolgreicher im Koalitionsvertrag verankert hat, als die CDU/CSU.“
Um das Dilemma, dass die Fehleinschätzung bei der wahrgenommenen Umsetzung die Politikverdrossenheit weiter verstärkt, schlägt die Studie
drei Denkanstöße bzw. Vorschläge vor, die helfen könnten:
Erstens muss besser verstanden werden, woher diese Kluft zwischen der von den Wählern wahrgenommenen und der tatsächlichen Performanz von Regierungen eigentlich kommt. Sind es die häufig großen Zeitverzögerungen zwischen der formalen Umsetzung eines Versprechens und seiner spürbaren Wirkung für die Bürgerinnen und Bürger? Oder dominiert das Gefühl einer insgesamt schlechten Repräsentation? Spiegeln die Parteien und Regierungen mit ihren Versprechen zu wenig die tatsächlichen Wünsche und Bedürfnisse der Menschen?
Zweitens geht es aber auch um politische Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Wie lässt sich mehr Menschen ein realistischeres Bild über die tatsächliche Einhaltung von Wahl- und Regierungsversprechen vermitteln. Das ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Wie „fair“ sprechen und urteilen wir über die Umsetzung politischer Wahl- und Regierungsversprechen? Mehr „Fair Play“ dabei könnte zu einer gerechteren Wahrnehmung führen.
Drittens geht es aber auch um eine bessere und wählerorientiertere Kommunikation der politischen Akteure. Fast 300 Einzelversprechen in einem Koalitionsvertrag kann und will sich niemand einprägen. Eine stärkere Fokussierung auf politische Schwerpunkte und ein Gesamtnarrativ könnten deshalb hilfreich sein. Für welche drei Kernversprechen steht die Regierung? Den Wählern das zu vermitteln, ist schwer genug!“
Manfred Meiger
Pressesprecher