„Den CO2-Abdruck unserer Städte können wir nur gemeinsam verringern.“ NRWSPD vor Ort in Bottrop

Im Gespräch mit Burkhard Drescher über den klimafreundlichen Umbau unserer Kommunen

Portrait Burkhard Drescher

Burkhard Drescher ist Geschäftsführer der Innovation City Management GmbH und war für die SPD Oberbürgermeister von Oberhausen. Er hat das Projekt Innovation City Bottrop betreut und damit die Treibhausgasemissionen von Bottrop um 50 % verringert.  Seit einigen Jahren wird das Konzept erfolgreich auf weitere Kommunen ausgerollt und auch in Bottrop geht es weiter: Die Stadt bis 2035 klimaneutral machen. Wir treffen ihn in seinem Büro und sprechen mit ihm über sozialdemokratische Klimapolitik, was man aus Bottrop lernen kann und wie wir die Folgen des Klimawandels eindämmen können.

 

 

Burkhard, du könntest jetzt den Ruhestand genießen und Rosen züchten. Warum schlägt dein Herz für die Innovation City Management?

Klimagerechter Stadtumbau ist die Kernaufgabe unserer Zeit. Und angesichts der immer deutlicher spürbaren Auswirkungen des Klimawandels aktueller als je zuvor. Heute merkt jeder, dass der Klimawandel real ist und uns auch hier in Nordrhein-Westfalen erreicht hat. Wir haben Strategien entwickelt, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, Städte nachhaltig zu entwickeln und uns vor dem Klimawandel zu schützen. Die Aufgabe ist spannend, wichtig und mit der Mannschaft macht es extrem viel Spaß.

Du bist Sozialdemokrat mit einer grünen Agenda, wie kommt es?

Das Thema der nachhaltigen Stadtentwicklung verfolgt mich schon länger und ist nicht einer Partei vorbehalten. Wenn man Politik als Beitrag versteht, um das Leben der Menschen lebenswerter zu machen, kommt man am Thema Umwelt nicht vorbei.

Was macht sozialdemokratische Klimapolitik aus?

Sozialdemokratische Klimapolitik kann nur Politik gemeinsam mit den Menschen sein. Unser Ansatz – auch hier in Bottrop – ist, mit den Menschen gemeinsam zu arbeiten. Wir nennen es: Energiewende von unten.

Das bedeutet, zusammen mit den Menschen die Konzepte und Ansätze zur nachhaltigen Stadtentwicklung zu erarbeiten. Sich zu fragen, wie wir gemeinsam einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die Konzepte werden von unten entwickelt und dann ausgerollt.

Ein Beispiel: Klimaschutz muss für jeden finanzierbar sein. Jeder Einzelne soll einen Beitrag leisten können. Wir beraten intensiv und schauen individuell, was der jeweilige Ratsuchende sich leisten kann, will – und was sich tatsächlich rentiert.  Unsere Energieberater:innen schauen sich jedes Gebäude individuell an, beraten zu Fördermitteln und kennen viele Tipps und Tricks. Wer beispielsweise eine Förderung für den Umbau seines Einfamilienhauses haben will, muss das ganze Dach erneuern. Wenn man das tut, ist man bei 30.000 €. Teilweise reicht es aber auch schon, nur den Dachboden zu dämmen. Das kostet vielleicht nur 1.500 €. Und zum Teil werden auch Maßnahmen gefördert, die in Eigenregie umgesetzt werden. Man kann es finanzieren und entlastet sofort die Haushaltskasse. Das ist der Unterschied zwischen Politik von oben und der Politik von unten.

Was kommt durch den Klimawandel hier in Deutschland auf uns zu und in welchem Zeitraum?

Es geht viel schneller, als wir alle denken – oder denken wollen. Extremwetterereignisse nehmen weiter zu, es wird immer heißer und damit werden die Lebensverhältnisse für die Menschen immer schwieriger. Aber man kann auch etwas dagegen tun.

Wir müssen Flächen entsiegeln, mehr Wasser und mehr Grün und in die Städte bringen, dazu auch Häuser und Dächer begrünen. Den Autoverkehr zurückdrängen durch Fahrradstraßen. Dafür sorgen, dass wir in Städten und Kommunen keine Treibhausgase mehr emittieren. Und gleichzeitig die Lebensverhältnisse durch bauliche und städtebauliche Maßnahmen anpassen, damit wir weiter in der Lage sind, in ihnen zu leben. Einen Beitrag zur Lebensqualität liefern – das ist der entscheidende Punkt.

Auch wenn wir hier in der Stadt klimaneutral werden, werden wir den globalen Klimawandel nicht aufhalten. Das ist ein Fakt. Das bedeutet, dass wir versuchen müssen, die Lebensverhältnisse vor Ort dem Klimawandel anzupassen.

Wie können wir den Co2-Abdruck von Städten verringern?

Der entscheidende Punkt sind die Gebäude. Fast 40% der Treibhausgasemissionen kommen aus Gebäuden, in denen Strom und Wärme verbraucht werden.

Man kann jedes Haus so umbauen, dass es mehr Energie erzeugt als die Nutzer*innen verbrauchen. Das ist technisch möglich und wirtschaftlich machbar: Über Fernwärme, Nahwärme, Wärmepumpen, Photovoltaik oder die Nutzung von Abwärme. Der Neubau ist in Deutschland dabei nicht relevant. Wir haben im letzten Jahr vielleicht 180.000 neue Gebäude errichtet. Es gibt aber 39.000.000 Wohngebäude im Bestand. Da passiert zu wenig.

Dann kommt Mobilität. Der Weg zur Elektromobilität ist, glaube ich richtig, wenn auch noch viele Fragen zu lösen sind. Aber: Es ist ein Skandal, wie nachlässig Radfahrer*innen und Fußgänger*innen in der Kommunalpolitik behandelt werden.

Paris baut auf jeder Straße, abgetrennt vom Autoverkehr, eine Fahrradbahn. Hier im Ruhrgebiet werden weiße Striche auf die Autostraße gepinselt. Ich würde meine Kinder da zwischen den LKWS und Bussen nicht fahren lassen. Wir müssen alternative Mobilitätskonzepte fördern und unsere Städte so umbauen, dass wir uns darin sicher und nachhaltig bewegen können. .

2010 bis 2020 – zehn Jahre lief das Projekt „Innovotion City Bottrop“. Kannst Du uns einen kurzen Überblick über das Projekt geben?

InnovationCity war die Idee des Initiativkreises Ruhr, der hier im Ruhrgebiet unter anderem Projekte anstößt, um den Strukturwandel zu fördern. Es sollte eine Musterstadt geschaffen werden, in der die CO2-Emissionen halbiert und so Klimaschutz umgesetzt wird. Bottrop hat den Zuschlag bekommen, weil die Kommune geschlossen hinter dem Projekt stand, bereits viele Ideen eingebracht hat und der Oberbürgermeister die gesamte Stadt für dieses Thema begeistern konnte, sodass insgesamt 20.000 Unterschriften gesammelt wurden.

Direkt zu Projektbeginn fingen wir an, die Bürger*innen mitzunehmen und in Bürger*innen-Workshops Ideen zu sammeln. Zudem gab es runde Tische mit Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Es entstanden über 400 Ideen für Projekte. Dann hat es einen Masterplan gegeben, mit dem wir die Projekte auf verschiedene Säulen verteilt haben. Insgesamt haben wir das Projektgebiet in sieben Quartiere aufgeteilt. Dort gab es Quartiersbüros, deren Mitarbeiter*innen vor Ort mit den Bürger*innen zusammen weitere Projekte entwickelt haben. Es gab dort kostenfreie Energieberatungen, unsere Berater*innen haben dazu mit den Menschen in den Häusern individuell geguckt, was man machen kann, um Energie und dabei Geld zu sparen.

Wir haben zahlreiche Informationsveranstaltungen gemacht zu allen möglichen Themen rund um die Energiewende: Photovoltaik, Fenster, Dämmung, Wärmepumpe, Sicherheit. Allein am ZIB, unserer zentralen Anlaufstelle für Bottroper:innen direkt am Hauptbahnhof haben wir 437 Veranstaltungen mit fast 12.000 Leuten, bei 70.000 Anwohner:innen durchgeführt. Wir waren auch vor Ort in den Schulen, haben mit den Schüler*innen gesprochen, das war ein besonderer Treiber, wir haben dort ganz viele Aktionen umgesetzt, unter anderem Sonnenhäuser und Windkraftanlagen gebastelt. Die Schüler*innen haben das dann in die Familien getragen und damit, den Nährboden dafür gelegt, dass die Menschen ihre Stadt selbst umgebaut haben – nicht die Innovation City Management GmbH und auch nicht die Stadtverwaltung.

So wurden in 10 Jahren 36% der Wohngebäude energetisch modernisiert, die Hälfte der Treibhausgas Emissionen eingespart und 25% weniger Energie verbraucht. Unsere jährliche Modernisierungsrate ist jetzt dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt und Bottrop unter allen kreisfreien Städten in NRW die Stadt mit der höchsten Photovoltaik-Dichte pro Person. Das haben wir nur geschafft, weil wir die Bürger*innen einbezogen haben.

Von allen 241 umgesetzten Projekten – was sind Deine Lieblingsprojekte? Und warum?

Wer genug Geld hat, kann sein Eigenheim klimagerecht umbauen. Das ist kein Hexenwerk. Es ist aber wichtig, auch zu zeigen, dass mit weniger Geld viel erreicht werden kann – und dass auch Projekte im sozialen Wohnungsbau umgesetzt werden können.

Wir haben mit einem 6-Familienhaus im sozialen Wohnungsbau – im Bestand – geschafft, es zum Plus-Energie-Haus umzubauen. Es erzeugt mehr Energie, als die Mieter*innen verbrauchen. Die Kaltmiete wurde angehoben, sodass die Investition für den Eigentümer finanzierbar war, aber weil die Mieter*innen nichts für Energie zahlen, ist die Warmmiete so gut wie unverändert geblieben.

Dann die Technoboxx GmbH. Das ist eine Schlosserei mit ungefähr 40 Mitarbeiter*innen. Dort werden riesige Gebilde zusammengeschweißt, das ist sehr energieintensiv. Die Firma hat eigenhändig den Betrieb so umgebaut, dass er mehr Energie erzeugt als verbraucht. Dazu wurde eine Pellet-Fußbodenheizung eingebaut, sodass mit den Paletten, auf denen die Stahlplatten geliefert werden, die Gebäude geheizt werden können. Dann wurde eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach installiert und eine riesige Batterie angeschlossen, die das Fraunhofer UMSICHT in Oberhausen entwickelt hat. Das Land hat sie gefördert, Technoboxx hat sie selbst eingebaut. Und da ist wieder mein Lieblingsthema: Das hat nicht eine Verordnung aus Berlin oder Düsseldorf geschafft. Sondern die Ingenieur*innen, die Schlosser*innen, die dort arbeiten, haben selbst die Ideen entwickelt und umgesetzt.

Was kann man aus Bottrop lernen?

Man kann erstens lernen, dass man eine Stadt nur nachhaltig entwickeln kann, wenn man das mit den Bürger*innen zusammen macht. Und man kann zweitens lernen: Man braucht einen Masterplan, für jedes Quartier, der aber nicht aufgezwungen wird. Sondern mit den Bürger*innen, den Immobilienbesitzer*innen, den Stadtwerken und der Stadtverwaltung gemeinsam entwickelt wird. Dann wird er auch umgesetzt.

Gibt es Nachahmer? Gibt es spannende Projekte, die durch Bottrop angeregt wurden?

Wir sind mittlerweile bundesweit in mehr als 50 Kommunen unterwegs. Für den Rat der Stadt Berlin haben wir zusammen mit der Berliner Energieagentur ein Bauinformationszentrum entwickelt, nach dem Beispiel des Zentrums für Information und Beratung in Bottrop. Das finde ich bemerkenswert. Im Nikolai Viertel ist es vor wenigen Monaten eröffnet worden. In Bottrop arbeiten wir jetzt daran, die Stadt bis 2035 klimaneutral zu machen. Viele Städte wollen den nachhaltigen Umbau, viele wissen nicht, wie es geht. Hier unterstützen wir in der Konzept- wie auch der Umsetzungsphase.

Hier könnt ihr mehr über klimagerechten Stadtumbau erfahren: https://www.icm.de

 

Bild: NRWSPD / Jörg Holtkamp